monkey.
VÖ AUT: 18.01.2013
MONCD097 (Digipack-CD)
Vertrieb: Rough Trade
Kontakt: Georg Rosa
"Kunst ist nicht verdaulich, sondern eine Irritation des Bewusstseins, wie ein Sandkorn im Inneren einer Auster." (Howard Barker)
Roia sind die unbekannteste Band Österreichs. Punkt. Das ist natürlich eine brutal nüchterne Aus- und Ansage für ein künstlerisches Projekt, das nicht nur im Proberaum und Studio existieren will. Und kann. Und sich von tausenden mindestens ebenso unbekannten Bands, die ewig in den Kellern der Nacht verharren, durch eine lange Vita, Airplay, Live-Konzerte und eine Serie von Veröffentlichungen glasklar unterscheidet. Nun: Roia werden anno 2013 die unbekannteste Band Österreichs gewesen sein. Die Vergangenheitsform als Zukunftsprognose.
„Cute Little Fear“, erschienen 2006, war schon ein erstes, beachtliches (und beachtetes) Lebenszeichen von Roia. Die Single „Suicide Butterfly“ lief monatelang auf FM4. Dem Debutalbum der Salzburger Formation, am ehesten zu vergleichen etwa mit Archive, frühen Cure, diversen 4AD-Acts wie Dead Can Dance oder den späten Talk Talk rund um Mark Hollis, folgte eine gewaltige Live-Kraftanstrengung. Und ein (zu) rascher Rückzug auf die Mittel der Selbst-Introspektion und ins Innere der Studio-Austernschale. Sprich: eine selbstgenügsame Existenz, die den Namen Roia zu einer Beschwörungsformel unter Eingeweihten machte, kaum aber Strahlkraft über die Grenzen der Mozartstadt hinaus erlangte. Nach einigen Anläufen zwischendurch („Cage Birds and Hunters“) liegt nun endlich – sieben Jahre nach dem Debut – mit „Suitcase Affair“ ein neues Opus Magnum vor.
Man muss dem klaustrophobischen Kosmos von Roia schon eine klitzekleine Chance geben, um seine Pracht und Macht zu entfalten. Denn oberflächlich betrachtet sind die Songs zumeist von ähnlicher Webart: eine oder zwei Stimmen (jene von Nina Hochrainer und Dorian Wimmer) nisten sich in höchst intimer Weise in den inneren, sensibelsten Bereichen des Ohrs ein, umschlingen und umgarnen einander und suchen den direkten Weg in die Synapsen, Ganglien und Reizzentren des Zuhörers. Repetition, Hallräume, verrätselte Lyrics und eine audiophile Feinabstimmung der Sounds und Klangingredienzien tragen das ihre dazu bei, um einen hypnotischen Sog zu erzeugen. Stücke wie „Sign of Rain“, „Paperlike“ oder „Telling Silence“ benötigen weder Wucht noch Pomp, um sofort und nachdrücklich ein Statement zu setzen. Der Grandsigneur am Studiomischpult – Paul Hochrainer, ein Routinier seines Fachs und Aktivposten der österreichischen Szene seit Jahrzehnten – weiß aber ganz genau, an welchen Knöpfen und Reglern er drehen muss. Oder wo die Gitarre jenen „wall of sound“ zu liefern hat, der das filigrane Traumgespinst der Roia-Symphonien konterkariert. Oder wie es klingt, wenn sich eine gedämpfte Blechtrompete an kühler Elektronik reibt.
„Suitcase Affair“ ist einmal mehr ein Konzeptalbum geworden. Wenn denn ein absichtsvolles, rückhaltloses Sich-Verlieren und Sich-Treiben-Lassen als Konzept gelten darf. Der Koffer ist eine Wundertüte, der Inhalt entschwebt an einem Luftballon dem silbriggrauen Normalltag. Mit dem Vorgängeralbum waren Roia in Wien, Linz, Dornbirn und Budapest live zugange. Es ist zu wünschen, dass das Trio – samt Gastmusikern – wieder die Kraft und Energie hat, seine Vision auf die Bühne zu hieven. Ökonomisch ist derlei gewiss „schwierig“ (und passt damit formidal in eine schwierige Zeit), aber die Konsequenz von Hochrainer, Hochrainer und Wimmer – Sie dürfen bei Gelegenheit gerne nach Details der Verwandtschaftsverhältnisse fragen – ist evident. Sonst wäre es wohl sinnhafter, einen direkten „stream of consciousness“ samt Audiospuren direkt aus dem Studio in Salzburg in die Kopfhörer potentieller Roia-Fans zu jagen. Wer weiß: vielleicht kommt das noch.
Einstweilen bitten wir Sie, mit einem metallisch glänzenden, mit Millionen Nullen und Einsen in Bit-Form verzierten Datenträger vorliebzunehmen. Direkt aus dem unscheinbaren Koffer, der auch den Schlüssel zum Reich der Träume enthält. So viel sei verraten: die Tür dazu gleicht eventuell dem Eingang einer Designer-Chillout-Lounge. Dahinter aber beginnt der Abgrund der eigenen Seele. Have fun.