monkey.
VÖ GSA: 25.03.2011
MONCD081 (Digipack-CD)
Vertrieb: Rough Trade
Kontakt: monkey.
Egal, ob man nun schon "drüben" war oder nicht: für uns Popsozialisierte ist "Amerika" zuallererst ein psychogeographischer Ort, eine mythologisch aufgeladene Landkarte, übersät mit Bandnamen, Songzeilen, Filmtiteln und Romanfiguren, allesamt größer, tiefer und Maßstab sprengender als das eigene kleine, seichte und maßstabsgetreue Leben. Und selbst die Fluchtlinien unserer Sehnsuchts-Projektionen weisen - wider besseren Wissens - noch immer Richtung Westen: go west, young man!, auch wenn dort niemand auf dich wartet.
Naked Lunch waren früh "drüben", wie Karl Rossmann, der Held aus Franz Kafkas Romanfragment "Amerika", und wie dieser reine Tor enterten sie "das Naturtheater von Oklahoma" nur als "Illusion des fast Grenzenlosen", an deren Ende sich die Band samt uneingelöster Verheißung rückgeflüchtet in Klagenfurt wiederfand: Fuck The West - von nun an ging's bergauf.
Und endlich also kommt zusammen, was bislang noch nicht zusammen gehörte: Kafka und Pop - als Ping Pong eine tolle Chance auf neue "produktive Missverständnisse". Für die Dramatisierung von "Amerika" am Stadttheater Klagenfurt (Regie: Bernd Liepold-Mosser) haben Naked Lunch neun Songs als assoziative Annäherung an Kafkas verstörenden Kosmos geschrieben, keinen Soundtrack als "Begleitmusik" zum Bild, sondern eigene Bilder quasi als Platzhalter der Leerstellen im Fragment gebliebenen Text.
Spätestens seit Thomas Woschitzs Film "Universalove" weiß man ja, dass Naked Lunch sich nicht dienend den visuellen Medien unterwerfen, sondern diese mit ihren Songs fort- und überschreiben, um so emotionale Verdichtungen zu erzeugen wie sie nur mit den Mitteln von Pop als Kunst der Überwältigung generiert werden können. Naked Lunchs "Amerika" steht daher als Liederzyklus der fast ausgestorbenen Idee des Konzeptalbums näher als jeder herkömmlichen Bühnenmusik, die im besten Fall das Geschehen umrahmt, während hier die Songs buchstäblich aus dem Rahmen fallen - als eigenständige popkulturelle Artefakte auf den schmalen Schultern des alles andere als popigen Riesen Franz Kafka.
Allein schon die Titel der Stücke zeugen on der "freundlichen Übernahme" kafkaesker Vibes in die Bilderwelt des Existentialisten-Pop: "This Hell Of Life", "Tumble Down", "Fight Club", "On Fire" - alles aufgeladene Topoi überhitzter Leidenstraditionen von Blues bis Todes-Country. Diese Traditionen in ebenso herzergreifende wie aufwühlende Popsongs überzuführen war schon immer die große Kunst von Naked Lunch.
Franz K. hätte dieses Album seiner Felice zum Geschenk gemacht. Und ihr aufs Cover geschrieben: "Naked Lunch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns". Wer wagte es, dem Prager Giganten zu widersprechen?
(Fritz Ostermayer)
Zitate zu "Amerika":
"All das emotional zu verdichten und in bald berührenden, bald intensiv-wilden Popsongs zu kanalisieren, zählt zur großen Stärke der Kärntner Pop-Existenzialisten." (Holger Fleischmann, Die Presse)
"Die größte Kunst von Naked Lunch war immer schon, ihre Songs zu großflächigen Stimmungsbildern auszubreiten. Für die Arbeit an “Amerika” eignete sich diese Herangehensweise einmal mehr perfekt, denn hier stimmt alles: Die Emotionen, die todessehnsüchtigen Arrangements, das Existenzialistische." (Eberhard Lauth, zib21.com)
"Dieses Album wird man noch hören, wenn der Anlass dafür längst vergessen sein wird." (Renzo Staub, Now!)
"Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit: Diese Kärntner schreiben immer noch und immer wieder die prächtigsten Popnummern des Landes." (S.K.I.P. Class)